Die aktuelle Energie- und Klimakrise stellt die Menschheit vor eine nie da gewesene Herausforderung. Wie die Energiewende und die Energieautonomie Tirols gelingen können, zeigte die erste Energiekonferenz Tirol in Innsbruck. Entscheidungsträger*innen, Expertinnen und Experten, Politik und Interessierte blickten anlässlich des zehnjährigen Jubiläums von TIROL 2050 energieautonom auf das bisher Erreichte und skizzierten die Rahmenbedingungen, die für ein unabhängiges und fossilfreies Tirol erforderlich sind. Die Konferenz unter Leitung der Energieagentur Tirol rückte neben den bisherigen Erfolgen auch die Herausforderungen und Potenziale der Energiewende in Tirol in den Fokus.
„Tirol hat die Chance, sich selbst mit sauberer und leistbarer Energie zu versorgen. Deshalb investieren wir in den Ausbau von Wasserkraft, Photovoltaik, Biomasse und sind offen für die Windkraft. Dabei nehmen wir auch eine europaweit wichtige Rolle ein: Stauseen sind nach wie vor die einzig sinnvolle Speichertechnologie. Von Tirol aus können mit der Wasserkraft Zeiten, in denen Photovoltaik und Windkraft schwächeln, ausgeglichen werden. Für all diese Vorhaben braucht es aber auch die Unterstützung und Akzeptanz der Tirolerinnen und Tiroler. Deshalb ist diese Energiekonferenz eine wichtige Gelegenheit, um aufzuklären, Fakten darzulegen und das enorme Potenzial in Tirol aufzuzeigen“, erklärt Landeshauptmann Anton Mattle.
Energielandesrat und LHStv. Josef Geisler lobte die Fortschritte: „In den letzten zehn Jahren hat sich viel getan: Das Bewusstsein für erneuerbare Energie und einen effizienten Umgang mit Ressourcen hat sich in allen Bereichen – von den Haushalten über die Unternehmen bis hin zu den Gemeinden – deutlich gestärkt. Wir können stolz darauf sein, dass Tirol bereits 58 Prozent seiner Energie aus erneuerbaren Quellen bezieht – damit liegen wir über dem österreichischen Durchschnitt von 41 Prozent und deutlich über dem EU-weiten Wert von 23 Prozent. Dieser Erfolg ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, zeigt aber auch, dass wir noch nicht am Ziel sind. Unser Weg zu 100 Prozent erneuerbarer Energie bis 2050 erfordert weiterhin konsequente Anstrengungen auf allen Ebenen – von der politischen Entscheidung bis zum Verhalten jedes und jeder Einzelnen.“
Obwohl das Jahr 2050 weit weg scheint, ist für das Erreichen eines unabhängigen und fossilfreien Tirols im Jahr 2050 aktives Handeln und das Bündeln der Kräfte aller Beteiligten erforderlich. Denn in Tirol müssen, ausgehend vom heutigen Energieverbrauch, bis 2050 rund 30 Prozent Energie eingespart und die Erneuerbaren um 80 Prozent ausgebaut werden.
Wie eine zukunftsfähige Energieversorgung aussehen kann, zeigte die Ökonomin und Leiterin des Instituts für ökologische Ökonomie an der Universität Wien, Univ.-Prof. Dr.in Sigrid Stagl.
Zentraler Aspekt sind für die Ökonomin die entstehenden Kosten für die Gesellschaft: „Am Status quo zu verharren, diese Option gibt es nicht. Transformation kostet, erfordert Veränderung und Investitionen. Wenn wir es nicht gleich angehen, wird es noch viel teurer werden.“
Damit diese Transformation gelingt, braucht es vor allem eines – Mut. Dies betonte der Historiker, Philosoph und Autor Dr. Philipp Blom. Er beschäftigt sich intensiv mit den Herausforderungen des Klimawandels und gab in seinem Vortrag nicht nur Denkanstöße, um die bevorstehenden Herausforderungen zu meistern, sondern forderte zu mutigem Denken und Handeln auf. Anhand von historischen Beispielen zeigte er, dass die einzige Konstante die Veränderung ist und betonte: „Um langfristig zusammenzuarbeiten, brauchen Menschen die Einsicht, dass keine Handlung und kein Problem jemals lokal ist, dass alles globale Auswirkungen hat und dass deswegen Solidarität zwischen Kontinenten und Systemen überlebenswichtig ist.“
Denn obwohl das Bewusstsein der Notwendigkeit einer Veränderung vorhanden ist, stößt die Umsetzung in der Realität oft auf Widerstände.
Wie mit diesen umgegangen werden kann, erläuterte der Experte für menschliches Entscheidungsverhalten und Professor für Innovations- und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz Dr. Thomas Brudermann. Der promovierte Psychologe ging auf die inneren und äußeren Widersprüche ein, die klimafreundliches Verhalten verhindern und wie wir mit diesen umgehen können. Die weitverbreitete Haltung „not in my backyard“ ist oft ein vorgeschobenes Argument und der Widerstand gegen polarisierende Themen, wie beispielsweise die Windkraft, wird durch andere Faktoren besser erklärt. Dazu zählen empfundene Nachteile, negative Auswirkungen auf das Landschaftsbild, tief verankerte, gesellschaftliche Einstellungen und vor allem die fehlende Teilhabe an den Vorteilen für die lokale Bevölkerung.
„Rationalisiert werden diese Gründe dann gerne mit ‚sollen doch die anderen was tun‘ beziehungsweise mit einem ‚macht das woanders‘“, so Brudermann.
Besonders bei der Umsetzung von Großprojekten stoßen Umsetzer*innen immer wieder auf starke Widerstände. Der erfahrene Mobilitäts- und Infrastrukturexperte Christoph Kraller gab Einblicke welche Rolle der Faktor Mensch bei der erfolgreichen Umsetzung von Großprojekten spielt. Als systemischer Businesscoach verbindet er Know-How mit menschenorientierter Führung und treibt als kaufmännischer Projektleiter der 2. S-Bahn-Stammstrecke in München die Mobilitätswende aktiv voran. In seinem Vortrag teilte Kraller multiplizierbare Muster des Gelingens. Einblicke in die rechtlichen Aspekte und Rahmenbedingungen der Energiewende auf europäischer und Bundeseben gab der Jurist und Experte für Energie- und Umweltrecht Dr. Florian Stangl und machte die gesetzlichen Leitplanken der Energiewende sichtbar.
Der Nachmittag stand im Zeichen der Vernetzung und des Austausches. In interaktiven Workshop-Formaten wurden Themen wie klimafitte Quartiere, erneuerbare Energieträger im Netz der Zukunft, Wege zum postfossilen Unternehmen, CO2 Reduktion durch Sektorkopplung und die E-Mobilität im erneuerbaren Energiesystem mit hochkarätigen Expertinnen und Experten vertiefend behandelt. Im Rahmen der Breakout-Session zu klimafitten Quartieren zeigte Univ. Ass. Mag.arch Lisi Zeiniger von der TU Wien anhand des Beispiels eines Smart-Blocks in Wien, wie die Energiewende in der bestehenden Stadt gelingen kann. Auch wenn viele technische Einzellösungen erforderlich sind, kann die Energie- und Klimawende nur gelingen, wenn alle mitgenommen werden. Zentraler Gegenstand waren deshalb die Fragen, wie die Dringlichkeit der Energiewende effektiv vermittelt und Menschen zum Handeln motiviert werden können. Dazu diskutierte unter anderem die ORF-Moderatorin und Reporterin Daniela Schmiderer, BA mit weiteren Expertinnen und Experten aus Kommunikation, Psychologie und Journalismus erfolgreiche Strategien der Klimakommunikation.
In diesem Prozess spielen Veranstaltungen wie die heutige eine wichtige Rolle, betont die Geschäftsführung der Energieagentur Tirol, Bruno Oberhuber und Rupert Ebenbichler: „Die erste Energiekonferenz Tirol mit fast 400 Teilnehmenden markiert einen zentralen Meilenstein. Sie schafft eine Plattform, die den Austausch und die Kommunikation zur Energieautonomie in der Zukunft stärkt. Wir wollen den Schwung der letzten zehn Jahre mitnehmen und sind überzeugt, dass die Diskussionen, Denkanstöße und Inspirationen des heutigen Tages, aber vor allem auch die Vernetzung innerhalb der Branche, einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Energieautonomie leistet und in Zukunft Früchte tragen wird“.
Große Veränderungen beginnen oft mit kleinen, aber bewussten Entscheidungen im Alltag, denn die Energiewende geht uns alle an. Um das gemeinsame Ziel von einem fossilfreien und unabhängigen Tirol im Jahr 2050 zu erreichen, müssen wir alle Verantwortung für einen bewussten Umgang mit Energie und Ressourcen übernehmen. Konkret bedeutet das - alle Tiroler*innen sind ein Teil von TIROL 2050 energieautonom und jeder Beitrag zählt – ob bei Sanierungen, der Wahl effizienter Technologien oder einem achtsamen Umgang mit Energie. Mit einfachen Schritten, kann jede und jeder Einzelne aktiv an einer nachhaltigen Energiezukunft mitwirken und so gemeinsam das Ziel der Energieautonomie erreicht werden.